Nachgefragt!
  • Interviews
#7

Eike Sanders ist Mitarbeiterin des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin e.V., wo sie seit zehn Jahren zentral zu dem Thema extreme Rechte und Gender forscht, publiziert und Bildungsarbeit durchführt. Ihre Schwerpunkte sind die „Lebensschutz“-Bewegung, Antifeminismus sowie Rechtsterrorismus. Sie ist Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus und bei NSU-Watch.

„Gender­gaga“ – ein rechter Kampf­begriff

Interview mit Eike Sanders

Rechte und rechtspopulistische Akteure sprechen von „Genderismus“ oder „Genderwahn“, wenn sie progressive Geschlechterpolitik kritisieren wollen. Was steckt hinter diesen Begriffen?

Zunächst muss man betonen, dass „Genderismus“ genau mit diesem -ismus am Ende eine Erfindung der Rechten ist. Es ist damit ein rechter Kampfbegriff, eine Feindbildkonstruktion. „Genderismus“ ist die Idee, dass von den politischen Instrumenten für Gleichstellung und Geschlechter-Diversität, vor allen Dingen Gender Mainstreaming, eine Gefahr für die Welt ausgeht, zumindest für die Welt, wie Rechte sie haben wollen. Das Ganze ist, nachdem der Vatikan schon Mitte der 1990er gegen die „Gender-Ideologie“ anschrieb, dann 2006 im deutschen Feuilleton angekommen. Es ist ein Feindbild geworden, das jedoch komplett sinnentleert ist. Es gibt in dieser Szene so lustige Slogans wie „Gender - nein danke!“. Nun ist „Gender“ ja erst mal nur völlig wertfrei der Begriff für die Geschlechtsidentität, die sozial konstruiert ist, wobei „sex“ das Biologische bezeichnet. Ein so leerer Slogan müsste eigentlich die Ablehnung sozialer Geschlechterrollen bedeuten, aber sicher will er sagen, dass er die soziale Konstruiertheit von Geschlecht nicht anerkennt. Und dass im Gegenteil damit ausgesagt werden soll, dass Menschen qua Geburt in eindeutige Männer und eindeutige Frauen mit angeborenen festgelegten sozialen Rollen eingeteilt werden müssen.

Teil dieses rechten Diskurses ist auch, dass es ein politisches Programm gäbe, das hinter Gender Mainstreaming steht – teilweise wird von „politischer Geschlechtsumwandlung“ gesprochen, das geht schon in Richtung Verschwörungstheorie. Dahinter stehe demnach der Plan, dass die zwei Geschlechter und die Heterosexualität abgeschafft werden sollen, dass es also keine Männer und keine Frauen mehr geben soll, sondern nur noch den einen „neuen Menschen“, ein geschlechtsloses Wesen, dadurch sei dann die ganze heterosexuelle Kleinfamilie bedroht.

Welche Rolle spielen der Antifeminismus und das Verteufeln von Gender Mainstreaming in der extrem rechten Ideologie?

Es ist auf jeden Fall in den letzten 10 bis 15 Jahren als ein zentrales Element rechter Ideologien sichtbar geworden. Dichotome Geschlechterbilder waren aber immer schon Grundlage rechter Ideologie. Auch wenn es in der extremen Rechten und im Neonazismus eine Modernisierung von Rollenbildern gegeben hat. Natürlich gilt in gewissen Spektren und in einer gewissen Einfachheit immer noch die Idee, dass Männer Krieger sind, dass sie die Politik machen, dass sie die Ernährer sein sollen, dass Männer rational seien und Frauen das Gegenteil, das Komplementäre, das sich beide harmonisch in ihrer Gegensätzlichkeit ergänzen sollten. Frauen seien demnach passiv und per se Mütter. Sie sind für die Kinder zuständig, für den Haushalt, die Kultur und die Privatsphäre, für die Emotionalität. Das wurde modernisiert und Teile der extremen Rechten sind flexibler geworden.

Antifeminismus arbeitet sich an einer negativen Illusion von Feminismus ab.

Antifeminismus arbeitet sich aber an einer negativen Illusion von Feminismus ab, es ist nicht Ziel der Programmatik der extremen Rechten Feminist*innen überhaupt als legitime Dialogpartner*innen anzuerkennen. Das sieht man heute vor allem im aufkommenden sogenannten Rechtspopulismus, wo ganz klar und öffentlich sichtbar geworden ist, dass der Antifeminismus das zweite Standbein von Parteien wie AfD und FPÖ ist: Es wird ganz konkret Politik gegen den Feminismus und seine Errungenschaften und Vertreter*innen gemacht.

Diese und andere Parteien stehen auch für Debatten um Leitkultur und Heimat. Siehst Du in diesen antifeministische Elemente?

Dank intersektionaler Forschung und Analysen wurde herausgearbeitet, wie sich Feindbilder und Diskriminierungsformen überschneiden und gegenseitig bedingen. Das heißt, genau bei so einem Begriff wie „Heimat“ wird es ganz deutlich: Da wird selbstverständlich auch definiert, wie „unsere Leitkultur“ sein soll - also was der weiße deutsche Mainstream sein soll. Rassismus und Antifeminismus bzw. Sexismus und andere Diskriminierungsformen kommen zusammen: In einer rassistischen Abgrenzung zu vermeintlichen Geschlechterbildern in „anderen Kulturen“ (z. B. islamisch geprägten Gesellschaften) liegt eine eigene Definition, ein eigenes Wir-Gruppen-Gefühl, wie „hier bei uns“ Geschlechterrollen wären. Da wird dann auch in Abgrenzung zu „dem muslimischen Mann“ und dem Diskurs nach Köln behauptet, in Deutschland sei die Emanzipation und Gleichstellung erreicht. „Unser natürliches“ Geschlechterrollenverhältnis sei an sich progressiv, die Frau sei emanzipiert.

Alle Forderungen, die das anders sehen, seien „links-grün-versiffte“ Propaganda. Alle Fakten, die es über sexualisierte Gewalt, Frauen*hass und Diskriminierung von LGBTI* in Deutschland gibt, werden ignoriert. Und genau darüber werden dann wieder Grenzen gezogen. Es wird gesagt: Weil es bei „den anderen“ noch viel schlimmer sei, was ja eine rassistische Projektion ist, gehen die Forderungen in Bezug auf die weiße deutsche Gesellschaft zu weit. Als ob hier jetzt alle Frauen Karrierefrauen sein müssten, dabei wollen sie doch nur Hausfrau und Mutter sein. Es gehöre zu unserer modernen Freiheit, dass die Frau sich entscheiden kann – am Ende halt für ihre Bestimmung als Mutter, nur das ohne direkte Unterdrückung. Da bedingen sich die Diskurse und es wird genau über Abgrenzung immer auch ein eigenes Bild konstruiert.

Stichwort Köln: Sabine Hark hat im Interview das Problem der rassistischen Aufladung von feministischen Positionen problematisiert. 2018 gab es in Berlin einen rechten Frauenmarsch. Was ist in der Auseinandersetzung mit solchen Phänomenen wichtig?

Zunächst muss betont werden, dass sich der Diskurs mit der Chiffre Köln verschoben hat. Aber die dort aufgerufenen Feindbilder der „fremden“ Männer, die weiße deutsche Frauen vergewaltigen, greifen auf eine lange Tradition zurück, die auch aus dem historischen Nationalsozialismus kommt und nun mit antimuslimischem Rassismus gekoppelt ist. Sie bleibt aber antifeministisch, und das nicht nur, weil Feminismus antirassistisch sein muss. Der „Frauenmarsch aufs Kanzleramt“ 2018, eine Demonstration, die von einer AfD-Funktionärin organisiert wurde und von rassistischer und islamfeindlicher Hetze bestimmt war, zeigt das ganz gut: Im Vorfeld des Frauenmarsches wurden Biker mobilisiert, um die Frauen vor den gefährlichen Linken zu schützen. Hier werden beide Seiten der dichotomen Zweigeschlechtlichkeit angesprochen, sowohl die Biker als auch die Frauen und zwar genau über den gleichen Hebel: Deutsche Männer beschützen deutsche Frauen. Die Frage ist dabei aber auch, wo genau das selbstermächtigende Moment für rechte Frauen einhergeht mit diesem Antifeminismus? Der ist nämlich erfolgreich darin zu sagen: Ihr (linken) Feministinnen beschützt uns nicht und habt den Kampf für die körperliche Unversehrtheit der Frau aufgegeben, deswegen gehen wir für „Frauenrechte“ auf die Straße, grenzen uns aber gleichzeitig von Feminismus ab. Darin können die Frauen Prestige und Handlungsmacht in der eigenen, ja durchaus männlich dominierten, Szene gewinnen. Und sie können ihren Rassismus ausleben, also nach unten treten und ihre eigenen legitimen Ängste vor sexualisierter Gewalt nach Außen verlagern: Die Gefahr geht für sie entgegen aller statistischer Wahrscheinlichkeiten über sexualisierte Gewalt nicht vom Ex-Partner, Ehemann oder Onkel aus, sondern vom unbekannten Fremden im dunklen Park.

Ich glaube, ein Fehler ist, dass häufig soziale Arbeit nicht als politische Arbeit verstanden wird.

Mich persönlich ärgert es sehr, wenn diese Realität von demokratischen antifaschistischen Aktiven einfach nur lächerlich gemacht und sich nicht ernsthaft damit auseinandergesetzt wird. Insbesondere auch, was Männlichkeit angeht: Welche Männlichkeiten werden da erfolgreich angesprochen? Das ist eine wichtige Frage, die die ganze Gesellschaft angeht. Klar können wir mit dem Finger auf Frauenmärsche zeigen, weil die ersten zwei Reihen von Frauen besetzt sind und dann nur noch Männer folgen. Das ist aber zu kurz gedacht, weil es den Mechanismus unsichtbar macht, der auch die rechte Szene für bestimmte Frauen attraktiv macht: Nämlich eine Selbstermächtigung innerhalb der rechten Szene, indem sie sich des Themas annehmen, sich in die erste Reihe stellen. Bestimmte Geschlechteridentifikationsangebote, die dort gemacht werden, sind für Frauen einerseits und Männer andererseits attraktiv. Und natürlich darüber sehr, sehr normierend und ausschließend für sehr, sehr viele andere.

Frauenprojekte geraten zunehmend ins Visir. Warum?

Dass solche Projekte wichtig sind und es eher noch mehr davon geben muss, zeigt sich in der Notwendigkeit der Arbeit, die sie leisten. Wir haben keine Gesellschaft, in der es keine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung gibt. Deswegen ist diese Arbeit nach wie vor notwendig und sie ist sowieso unterrepräsentiert und unterfinanziert. Dem rechten Weltbild liegt eine diskriminierende Sicht auf Geschlecht und sexuelle Orientierung zugrunde, deswegen haben sie auch ein Interesse daran, empowernde und emanzipatorische Projekte im Feld von Genderpolitiken anzugreifen. Deswegen ist es total wichtig, dass die verantwortlichen Stellen und diese Projekte selbst sehen, wie schnell sie in den Fokus geraten können und darauf vorbereitet sind. Es ist aber ebenso wichtig, dass es ein solidarisches Miteinander gibt, wo ganz klar ist: Wenn solche Projekte angegriffen werden, ist eine vielfältige demokratische, also auch antifaschistische, antirassistische und feministische Gesellschaft gemeint. Natürlich ist der Angriff gegen Frauen, LGBTI*, gegen Feministinnen einer, der eine Gesellschaft, wie wir sie wollen, betrifft. Eine Hate Speech-Kampagne gegen eine einzelne Feministin ist eben nicht nur gegen diese Person gerichtet und kritisiert nicht nur diese Einzelperson, sondern damit sind wir alle gemeint, also alle, die eine vielfältige demokratische Gesellschaft wollen.

Es gibt das Bild von extrem rechten Argumentationsweisen, z. B. beim Thema Migration, die erfolgreich in die sogenannte Mitte der Gesellschaft platziert werden. Gilt das auch für antifeministische Figuren?

Auf jeden Fall, wobei ich diese Idee von bewusstem Benutzen infrage stellen würde oder das Bild von einer Mitte, die durch Rechtsaußen manipuliert wird, indem Begriffe hereingeschmuggelt werden. Seit einigen Jahren gibt es viele Errungenschaften von feministischer und queerer Seite, wie die Sexualstrafrechtsreform, die Ehe für alle oder die dritte Option beim Geschlechtseintrag. Da fühlen sich rechte Antifeministen – zu Recht - in einem Abwehrkampf gegen Entwicklungen, die diese Gesellschaft in Bezug auf progressive Geschlechterpolitiken nimmt.

Mit einer Hate Speech-Kampagne gegen eine einzelne Feministin sind wir alle gemeint.

Dennoch: Viele Errungenschaften haben negative Seiten und wurden teuer erkauft, auch durch eine weitere Diskriminierung von Trans*- und Inter*personen oder durch rassistische Politiken. Antifeminismus hat eine breite Basis, auch die Bemühung, feministische Forderungen und Geschlechterpolitiken in die Privatheit zurückzudrängen und zu entpolitisieren. Wenn man sich anschaut, welche geschlechtlichen Bilder bei Hate Speech im Internet vorhanden sind oder wie schnell es im Internet zu Vergewaltigungsdrohungen kommt oder einer homo- und trans*feindlichen Sprache, wird offensichtlich, was da für ein Potenzial an Frauenhass und Hass gegenüber sexuellen Minderheiten vorhanden ist. Hier gibt es eine Kopplung von Sprache hin zur Gewalt. Österreich hat letztes Jahr Schlagzeilen gemacht, weil dort statistisch gesehen die Zahl von Morden an Frauen sehr hoch ist - im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern und im Verhältnis zur Tötungsrate im Land. Die Motive werden dann als „Familiendrama“, erweiterter Suizid, Beziehungstat oder sonstige „private Gründe“ bezeichnet. Dahinter steht aber die Idee, dass der Mann das Recht hat, über das Leben und die Sexualität der Frau - die er gesellschaftlich legitimiert als ihm zugehörig rechnet - zu bestimmen und zu sanktionieren. Nur bei rassistischer Aufladung als „Ehrenmord“ wird dieses patriarchale Denken als Problem erkannt, die Gesellschaft bezeichnet das aber sonst als private Tragödie.

Apropos Hate Speech: Das sind ja sehr emotionale Kommentare. Mit Fakten kommt man oft nicht weiter. Wie geht man gut in solche emotionalen Diskussionen als Gegenpart?

Geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, das sind alles Themen, die tief ins Innerste der Identität von Menschen gehen und dementsprechend auch sehr viele Emotionen hervorrufen. Was beispielsweise in der sehr kurzen Diskussion um die Ehe für alle deutlich geworden ist, ist aber, wie es politisiert wird. Das muss hervorgehoben werden. Warum sollte es irgendeinen Einfluss auf das Leben einer Birgit Kelle (Aktivistin der antifeministischen „Lebensschutz“-Bewegung) haben, wenn zwei Männer oder zwei Frauen heiraten können? Das wird dann komplett irrational gespielt, wobei aber ganz deutlich wird, dass das eine politische Agenda ist - das müssen wir uns bewusst machen. Die Leute, die antifeministische Politik machen, machen eine Politik gegen eine vielfältige, diskriminierungsfreie Gesellschaft. Aber diese Gesellschaft haben wir nicht, für die kämpfen wir und die kämpfen dagegen. Diese ganze Figur „Jetzt bald dürfen nicht mehr Mann und Frau heiraten und 3 Kinder kriegen“ ist absurd. Das ist momentan das hegemoniale Modell und nur wenn andere Dinge rechtlich gleich gestellt werden, heißt das nicht, dass es nicht mehr hegemonial ist. Vielleicht ist es das irgendwann nicht mehr, das fände ich ja wünschenswert, denn Hegemonie heißt auch immer Norm und Abwertung von anderen Optionen. Aber die Abschaffung von hegemonialen, ausschließenden Normen heißt nicht die Diskriminierung der Mehrheit. Es ist ein demokratischer Prozess, weil sich die Leute dafür entscheiden. Der Schritt davor, um das abzuwehren, ist zu behaupten, es gäbe eine Mehrheit, die durch Minderheiten bedroht ist, dabei ist es doch genau umgekehrt. Ich finde es wichtig, das als politische Agenda zu erkennen. Und nicht darauf reinzufallen, dass das Private nicht politisch sei – natürlich ist das Private politisch und dementsprechend wird in das private Feld Politik reingetragen. Der Angriff der Rechten auf emanzipatorische Strukturen legitimiert immer auch Leute, die nicht der Norm entsprechen, auszugrenzen, anzugreifen, zu verletzen. Wichtig ist zu sehen, wo Frauen-, Mädchen-, Schwulen/Lesben- und vor allem auch Trans*-, Inter*-/ Queer- Projekte angegriffen werden, ist das ein Angriff von rechts gegen Strukturen und konkrete Menschen. Da heißt es solidarisch sein und Allianzen schmieden.

Das Interview führten Annika Eckel und Claudia Pilarski.

Eike Sanders ist Mitarbeiterin des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin e.V., wo sie seit zehn Jahren zentral zu dem Thema extreme Rechte und Gender forscht, publiziert und Bildungsarbeit durchführt. Ihre Schwerpunkte sind die „Lebensschutz“-Bewegung, Antifeminismus sowie Rechtsterrorismus. Sie ist Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus und bei NSU-Watch.

  • Zur Reihe
  • Impressum & Datenschutz