Nachgefragt!
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#25

Anna Blume Böttcher koordiniert das Projekt aras*-politische Bildung an Schulen in Treptow-Köpenick und studiert im Master Soziale Arbeit. aras* führt u.a. Bildungsformate mit Multiplikator*innen in den Themenbereichen Umgang mit Diskriminierung sowie rechten und antidemokratischen Positionen im Kontext Schule durch.

Jeannine Löffler koordiniert seit Januar 2018 das Projekt Register zur Erfassung extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in Treptow-Köpenick. Sie ist Sozialarbeiterin (BA) und hat in den letzten Jahren auch das Team von aras*-politische Bildung an Schulen unterstützt.

Extrem rechte Jugend­liche – Ein Blick auf Schule und pädago­gisches Handeln

Im Gespräch mit Anna Blume Böttcher und Jeannine Löffler vom Zentrum für Demokratie

Medienberichten folgend kommt es an Schulen vermehrt zu extrem rechten Vorfällen. Aber auch Statistiken z.B. von Schulämtern zeigen deutlich, dass die Zahlen zunehmen. Ihr seid mit euren Projekten an Schulen in Treptow-Köpenick unterwegs. Wie erlebt ihr die Situation momentan?

Anna: Wir bekommen zurzeit viele Anfragen von Lehrkräften, die besorgt von rechten Positionen an ihren Schulen berichten. So zum Beispiel auch im Zuge der Junior- und Europawahlen, die an vielen Schulen stattgefunden haben und wo die AfD die meisten Stimmen bekommen hat. Ich finde es zunächst wichtig zu sagen, dass Diskriminierungen als strukturelles Herrschaftsverhältnis und rechte Positionen immer auch im Raum Schule stattfinden und nicht erst mit der zunehmenden Befürwortung extrem rechter Parteien Thema sind. Die Gründung des Projekts aras* 2018 zielte genau darauf ab, für diskriminierende und rechte Vorfälle ansprechbar zu sein und insbesondere mit Angeboten der außerschulischen politischen Bildung darauf zu reagieren. 

Was wir gleichzeitig sagen können, ist, dass mit zunehmender Einflussnahme von rechten Positionen in der Gesellschaft, wie es Einstellungsstudien wie die Leipziger Autoritarismus-Studien zeigen, auch eine Zunahme von Anfragen an uns gestellt werden, in denen es um explizit rechte oder extrem rechte Vorfälle geht. Das reicht von Schmierereien und Propaganda in den Klassenzimmern, über rassistische Bedrohungsszenarien, denen Schüler*innen ausgesetzt sind, oder organisierte Jugendliche, die gezielt Werbung vor Schulen machen. 

Wir dürfen aber auch nicht die Lehrkräfte und die pädagogischen Fachkräfte selbst vergessen. Auch bei Ihnen machen wir zum Beispiel in unseren Fortbildungen die Erfahrung, dass antidemokratische und diskriminierende Positionen vertreten werden. Dies berichten Lehrer*innen wie auch Schüler*innen. Gerade in Bezug auf Antifeminismus und Rassismus können wir das stark beobachten. 

Du hast kurz erwähnt, dass rechte Jugendliche vor Schulen auftauchen. Das ist zurzeit in Berlin ein großes Thema. Könnt ihr ausführen, um wen es sich dort handelt und welche Gefahren von den Gruppen ausgehen?  

Jeannine: Seit Jahren berichten Schüler*innen von rechten Gruppen an ihren Schulen, die gezielt Mitschüler*innen angehen. Diese Entwicklung hat sich in diesem Jahr nochmal zugespitzt. Einschüchterungen und Übergriffe finden nicht mehr nur in der Schule statt, sondern auch im digitalen Raum oder in der Freizeit, ausgehend von Situationen in der Schule. Die Betroffenen erzählen von Morddrohungen über Social-Media oder Übergriffen auf der Straße. Die Spitze des Eisbergs sind extrem rechte Gruppen, wie die Jugendorganisation "NRJ" der neonazistischen Kleinstpartei "Der III. Weg". Sie gehen gezielt vor Schulen, um dort ihre Flyer zu verteilen und Schüler*innen einzuschüchtern. Aber auch neue Gruppierungen wie "DJV - Deutsche Jugend voran" und "JS - Jung und stark", die sich über den Sommer gebildet haben und insbesondere durch queerfeindliche Aktionen und Angriffe auf junge Antifaschist*innen aufgefallen sind, wirken in die Schulen. Ohnehin schon rechte Jugendliche haben nun Vorbilder, die ihnen vorleben, dass Gewalt gegen Linke, Queers und Schülis mit Rassismuserfahrungen ein legitimes Mittel ist, um ihrer politischen Meinung Ausdruck zu verleihen. Dabei setzen diese Gruppen auf Werte wie Heimat und Tradition und docken an Interessen, wie Fußball, Kampfsport, Graffiti und Musik, der jungen Menschen an. Sie wirken wie Brandbeschleuniger.

rechte Jugendliche haben nun Vorbilder, die ihnen vorleben, dass Gewalt gegen Linke, Queers und Schülis mit Rassismuserfahrungen ein legitimes Mittel ist

Wie gehen Schulen mit rechten Vorfällen um? 

Anna: Ich würde sagen, dass Schulen sehr unterschiedlich mit rechten oder diskriminierenden Vorfällen umgehen. Allerdings können wir aus unserem direkten Kontakt und aus den Berichten von Betroffenen feststellen, dass Schulen oftmals nicht adäquat reagieren und es einfach keine einheitlichen, bindenden Konzepte und Handlungsleitfäden gibt. Zudem sind nachhaltige Strategien, die dem Abbau von Diskriminierung dienen, kaum vorhanden. Stattdessen können wir beobachten, dass es zu Überforderungen kommt: sowohl in Bezug auf die eigene Haltung und Position als auch was die Kapazitäten im stressigen und druckgeladenen Schulalltag angeht. Lehrer*innen berichten auch immer wieder über Unsicherheiten und haben Angst, etwas Falsches zu sagen. Stichwort ist hier der Mythos des Neutralitätsgebots und die fehlerhafte Annahme, sich nicht gegen rechts positionieren zu dürfen. 

Stichwort ist hier der Mythos des Neutralitätsgebots und die fehlerhafte Annahme, sich nicht gegen rechts positionieren zu dürfen. 

Auch bekommen wir immer wieder mit, dass Schulleitungen sich quer stellen. Sie wollen sich nicht mit den Problemen befassen, weil sie Angst um den Ruf ihrer Schule haben und sie im schlimmsten Fall als „Nazischule“ dastehen könnten. Damit haben wir natürlich ein riesiges Problem in einem hierarchisch organisierten Raum wie Schule. So ist es für uns und insbesondere für die Personen vor Ort viel schwerer zu agieren. 

Wir können aber auch feststellen, dass es viele engagierte Einzelpersonen gibt. Oftmals sind es Schulsozialarbeitende, die sich den Themen und den betroffenen Schüler*innen widmen. Das sind dann auch vielfach die Personen, die sich an uns wenden und mit denen wir zusammen passende Formate an den Schulen in Treptow-Köpenick entwickeln. Wir haben mittlerweile regelmäßig stattfindende Kooperationen und können so auch gemeinsam Themen an den Schulen verankern. 

Jeannine: In Treptow-Köpenick haben wir mit einer Schule die Erfahrung gemacht, wie eine langfristige Zusammenarbeit mit externen Fachstellen zu kompetenten und situationsangemessenen Reaktionen der Schule führen kann. An dieser Schule war "Der III. Weg", um Flyer zu verteilen. Die Schulleitung hat schnell reagiert: die Polizei wurde gerufen und die Schüler*innen abgeschirmt, danach wurden alle Lehrkräfte informiert, die im Anschluss in allen Klassen das Gespräch dazu führten. Auch einen Elternbrief gab es. Dies geschah im Februar 2024. Noch im November 2023 war ich an der Schule und habe über den "III. Weg" aufgeklärt. Auch hier waren es vereinzelte, engagierte Lehrkräfte, die die Zusammenarbeit über Jahre aufrecht hielten.

Dazu habt ihr auch an Stellen schon etwas formuliert, aber noch einmal die Frage: Was berichten betroffene Schüler*innen oder auch Fachkräfte?

Jeannine: Die Berliner Register dokumentieren nur wenige Vorfälle an Schulen. Das Lehrpersonal ist eigentlich angewiesen, entsprechende Vorfälle an die Schulleitung zu melden und das sollte dann ans Schulamt gehen. Bei  Schüler*innen besteht oft die Angst vor negativen Auswirkungen, wenn herauskommt, dass sie einen Vorfall bei den Berliner Registern gemeldet haben. Das zeigt auch schon das Problem deutlich auf: Oft erfahren sie wenig Unterstützung in der Schule. In Diskussionen halten sich Lehrkräfte meist raus. Wer sich deutlich positioniert, wird nachträglich von rechten Mitschüler*innen angefeindet. Die Betroffenen fühlen sich alleingelassen und der Schulbesuch kann zur Qual werden. Gleichzeitig setzen sich Schüler*innen auch immer wieder ein. Sie treffen dabei aber nur auf wenige engagierte Lehrer*innen. Wenn Schülis berichten, dass sie regelmäßig Hakenkreuze und extrem rechte Aufkleber selbstständig entfernen, zeigt das die Normalität solcher Vorfälle auf und wie groß das Desinteresse ist. Mit diesen Erfahrungen und Beobachtungen wird es für Betroffene von Diskriminierung und Anfeindungen nur schwerer sich vertrauensvoll an Lehrkräfte zu wenden. Sie sehen schon bei so 'einfachen' Dingen, dass nichts passiert.

Welche Forderungen oder Handlungsempfehlungen ergeben sich aus euren Erfahrungen und Eindrücken?

Anna: Hier würde ich gerne den Punkt einer strukturellen Verankerung von Instrumenten und der Erarbeitung von Handlungskonzepten stark machen. Es braucht zum einen die Ressourcen und zum anderen die Bereitschaft der Schulen, sich in Prozesse zu begeben, die der langfristigen Strategieentwicklung dienen. Schulen müssen sich mit den Fragen nach dem Abbau von Diskriminierung sowie dem Umgang mit rechten und antidemokratischen Handlungen im Schulalltag auseinandersetzen. Das bedeutet auch, die eigene Haltung und Positionierung zu hinterfragen. Externe Projekte der politischen Bildung aber auch Verweise an Antidiskriminierungs- und Opferberatungsstellen können hier hilfreich sein. Das Ganze darf nicht an einzelnen engagierten Fachkräften hängen bleiben, sondern stellt eine zentrale Säule des pädagogischen Auftrags von Lehrer*innen und Schule dar und sollte auch diese Beachtung finden. Nur so können Betroffene geschützt und gestärkt werden und nur so kann langfristig ein demokratischer Werterahmen gesetzt werden. Wir erleben auch, dass eine bezirkliche oder auch überbezirkliche Vernetzung und Austausch für viele bestärkend ist - gerade wenn sie sonst allein an ihren Schulen kämpfen. Wir als Zentrum für Demokratie bieten dafür im Rahmen von Workshops oder einem kollegialen Austauschformat immer wieder die Möglichkeit. 

Das Ganze darf nicht an einzelnen engagierten Fachkräften hängen bleiben, sondern stellt eine zentrale Säule des pädagogischen Auftrags von Lehrer*innen und Schule dar 

Jeannine: In Schulen geht es oft um Konsequenzen für Täter*innen. In meiner Arbeit stehen aber die Perspektiven von Betroffenen im Fokus. Diesen Perspektivwechsel würde ich mir auch von Lehrpersonal wünschen. Es muss einen Raum geben für Fragen wie: Wie können wir Betroffene unterstützen? Was macht es mit Betroffenen, wenn wir auf Hakenkreuze, Drohungen oder rassistische Aussagen nicht reagieren? Konsequenzen zu ziehen, bedeutet nicht immer die Bestrafung von Täter*innen. Dies ist oft auch nicht möglich. Aber eine deutliche Reaktion auf Vorfälle ist wichtig. Das wünschen sich auch Schüler*innen. Dabei ist es jedoch notwendig, nicht nur auf "die Rechten" zu schauen. Natürlich ist es einfacher, Probleme einer bestimmten, ohnehin schon auffälligen Gruppe zuzuschieben. Das Problem beginnt aber viel früher. Strukturelle Diskriminierung, ob nun Rassismus, Queerfeindlichkeit, Antisemitismus oder Sexismus, ermöglicht es rechten Schüler*innen erst, sich breitzumachen. Sie finden hier das Fundament für ihr Handeln. Gleichzeitig fehlt Betroffenen und ihren Unterstützer*innen die Basis für ihr Handeln. Wenn also die Frage im Raum steht, wie junge Menschen gegen rechte Hetze stark gemacht werden können, dann liegt die Antwort vor allem darin, Wissen über die Diskriminierungsformen und ihre Rechte, sich dagegen wehren zu dürfen, zu vermitteln. Dabei brauchen sie die Unterstützung von Lehrkräften, in Form von Bildung und Solidarität, aber auch durch Selbstreflexion und Unterstützung innerhalb der Schulstrukturen.

Wenn also die Frage im Raum steht, wie junge Menschen gegen rechte Hetze stark gemacht werden können, dann liegt die Antwort vor allem darin, Wissen über die Diskriminierungsformen und ihre Rechte, sich dagegen wehren zu dürfen, zu vermitteln.


Vielen Dank für die wertvollen Infos und das Gespräch!

Das Interview führten Katja und Janika.

Anna Blume Böttcher koordiniert das Projekt aras*-politische Bildung an Schulen in Treptow-Köpenick und studiert im Master Soziale Arbeit. aras* führt u.a. Bildungsformate mit Multiplikator*innen in den Themenbereichen Umgang mit Diskriminierung sowie rechten und antidemokratischen Positionen im Kontext Schule durch.

Jeannine Löffler koordiniert seit Januar 2018 das Projekt Register zur Erfassung extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in Treptow-Köpenick. Sie ist Sozialarbeiterin (BA) und hat in den letzten Jahren auch das Team von aras*-politische Bildung an Schulen unterstützt.

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