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#20

Claudia Tribin ist die Koordinatorin des lateinamerikanischen Vereins Xochicuicatl e.V. im Prenzlauer Berg. Gemeinsam mit ihrer Community hat sie 2015 das Projekt „Ladies meet“ für und mit geflüchteten Frauen ins Leben gerufen. Etwa zeitgleich entwickelte Teresita Cannella mit dem Verein Trixiewiz e.V. einen Selbst-Empowerment-Ansatz und bietet seitdem Trainings in Pankower Gemeinschaftsunterkünften an. In diesem Interview sprechen wir mit den beiden Vereinsvertreter*innen über ihre Erfahrungen mit Empowerment in ihrer Projektarbeit.

Empower­ment ist kein Aspirin

Interview mit Claudia Tribin (Xochicuicatl e.V.) und Teresita Cannella (Trixiewiz e.V.)

Was genau macht das Projekt „Ladies Meet“ aus und was bedeutet für euch Empowerment darin?

Claudia: Das Projekt hat 2015 mit Ehrenamtlichen gestartet. Es gab bei unserem Frauenverein um die Ecke eine neueröffnete Notunterkunft in einer Turnhalle in der Winsstraße. Dort saßen wir in einer großen Gruppe mit Frauen. Es war sehr emotional und die Frauen waren sehr glücklich, dass „Deutsche“ den Kontakt gesucht haben. Wir waren selber fast alle eingewanderte Frauen, aber das war egal.

Viele Frauen waren schwanger und verunsichert, was sie aus der Essensausgabe in der Turnhalle essen konnten und so haben wir die Frauen einfach zu uns in den Verein eingeladen, um zu kochen. Damals blieben die neuzugezogenen Frauen bei allen Veranstaltungen im Hintergrund. Dann haben wir gefragt, was wünscht ihr euch? Sie wünschten sich einen Raum für sich, zum Schminken und Tanzen, deswegen haben wir angefangen, in einem Extra-Raum Zusammenkünfte nur für Frauen zu organisieren. Einmal im Monat trafen wir uns, um gemeinsam zu essen und zu tanzen. Alle haben sich schick angezogen. Das war ein Highlight! Dann erst haben wir langsam angefangen auch thematisch zu arbeiten und das sehr niedrigschwellig.

Was waren eure gemeinsamen Themen?

Claudia: Wir kamen zu den Treffen und wollten über Frauenrechte und unsere Themen sprechen, das erwies sich aber als zu kompliziert. Die Sprachbarriere war schwierig zu überwinden. Deswegen haben wir angefangen, über das Kochen zu reden. Ich weiß noch, wie wir ein Hähnchen auf den Einkaufszettel malten und überlegten, wie viele von diesen wir einkaufen müssten, um alle satt zu kriegen. Wir haben gemerkt, dass es ein paar Frauen gab, die ein wenig Englisch konnten und die sich in der Gruppe hervortaten, um beim Organisieren zu helfen. So ist eine kleine Vorbereitungsgruppe entstanden. Zu Gesprächen über Menschenrechte usw. sind wir da noch nicht gekommen.

Frauen mit Fluchterfahrungen sind bei uns Expert*innen.

Erst langsam konnten wir dann eine der Frauen unterstützen, ihre eigenen Deutschkenntnisse in dieser Gruppe weiterzugeben. Dann haben wir die „Ladies Academy“ gegründet und Vorträge über Gesundheit, Erziehung und Gewalt in der Familie sowie Sexualleben organisiert. Frauengesundheit allgemein ist ein Thema, dass wir mit anderen Organisationen professionalisiert haben.

Bei Triwiewiz e.V. habt ihr etwa zeitgleich angefangen, zum Thema Empowerment zu arbeiten. Was ist Empowerment für euch?

Teresita: Frauen mit Fluchterfahrungen sind bei uns Expert*innen, nicht Adressat*innen unserer Projektarbeit. Wir versuchen eine Strategie gegen Rassismus und Diskriminierung zu entwickeln, und Prozesse des Selbstempowerments zu initiieren. Empowerment ist für uns ein Prozess, keine*r kann eine*n anderen empowern, du kannst nur dich selber empowern. Das bedeutet, wir empowern uns gegenseitig. Wir lehnen das Wort Empowerment ab.

Selbstempowerment bedeutet dann auch, als Selbst zu existieren, ohne die Zwänge durch Rasse, Klasse oder Geschlecht. Also die Kategorien, die uns in unserer Sozialisation prägen. Das heißt Selbstempowerment ist queer, antirassistisch, migrantisch und intersektional.

Was sind eure jeweiligen Strategien in euren jeweiligen Projekten?

Teresita: Für uns ist beim Selbstempowerment ganz wichtig, dass die Menschen eine soziale, politische und kulturelle Beteiligung haben. Dass sie ihre Rechte kennen und die Kompetenzen aller im Raum sichtbar gemacht werden. Es geht also auch um eine Sichtbarkeit der im Raum verteilten Kompetenzen. Selbstempowerment meint auch, ich mache sichtbar, welche Chancen ich habe, zum Beispiel durch Bildung.

Selbstempowerment ist queer, antirassistisch, migrantisch und intersektional.

Claudia: Schon das Zusammensein ist Empowerment. Ich gebe Informationen, ich empowere Niemanden, ich gebe die Erfahrungen und Strategien unserer Community, wie wir es geschafft haben hier anzukommen, weiter. Einfach das Wissen vermitteln, ich bin nicht allein, ich kann schauen, wie eine andere Frau das macht - so funktioniert dann das Lernen.

Wir planen und entwickeln die Projekte mit den Frauen sowohl inhaltlich als auch finanziell. Wir kochen zusammen, gehen zusammen einkaufen, putzen zusammen. Die beteiligten Frauen lernen so eine Abrechnung zu machen, sie müssen Verträge machen und lernen dabei, wie das Arbeitsleben funktioniert.

Was sind die Strategien bei euren Trainings zum Selbstempowerment?

Teresita: Wir haben einen Prozess- und bedürfnisorientierten Ansatz: Was brauchen die Teilnehmenden für sich, was haben sie für Bedürfnisse? Am besten ist es, wenn wir die Menschen vorher treffen, um sie zu fragen. Je nach Wünschen organisieren wir dann die Seminare.

Außerdem vertreten wir den Ansatz des Powersharings: Wir richten den Fokus auf Privilegien, es werden hier die Teilnehmenden und die Trainer*innen in den Blick genommen. Wir versuchen unsere Mächte zu teilen. Es kann die Sprache sein, bin ich Trainerin, bin ich Teilnehmerin? Haben wir das Geld? Wir teilen das Geld, damit die Menschen sich darin organisieren können.

Empowerment passiert durch Begegnungen.

Ein weiterer Aspekt ist die Positionierung der Mitarbeiterinnen offen zu legen: Sie teilen mit, ob sie selber eine Migrations- oder Fluchterfahrung haben. Das ist wichtig für uns, da geht es um das Peer-to-Peer. Es geht auch um die Frauen, die die Erfahrung bereits auch erlebt haben und ihr Wissen teilen und ihre Geschichte, wie sie mit den Erfahrungen umgegangen sind. Wenn es beispielsweise um Fragen des Asylantrags geht, dann haben die Teilnehmenden Fragen und die Trainerin kann ihre Erfahrungen teilen. Die anderen werden dann auch ihre Erfahrungen teilen und das macht Wissen und Wissen ist Power und das ist Selbst-Empowerment.

Eine andere Sache ist der Safe Space: Selbstempowerment passiert durch Begegnungen. Und gerade Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, haben die Möglichkeit, sich zu öffnen. Wir haben einen Safe-Raum für Menschen, die Gewalt erfahren haben, einen Raum für die, die Rassismus erfahren haben. Wir versuchen dann, wenn die Menschen sich im geschützten Raum ausgetauscht haben, gemeinsam Strategien zu entwickeln. Es gibt die Möglichkeit sich zu verbünden, nach draußen zu gehen.

Der letzte wichtige Punkt: Wir bieten auch Babysitting an, das ist auch Selbstempowerment, weil viele der Teilnehmer*innen Kinder haben und sich ruhig auf den Workshop konzentrieren können, wenn die Kinder mit einem*r Babysitter*in in einem anderen Raum sind.

Das Projekt bei Xochicuicatl e.V: wurde vom „Ladies meet“ zur „Ladies Academy“. Was genau hat sich geändert in diesem Projekt und was würdest du gerne weitergeben?

Claudia: Für mich als Person war es wichtig zu verstehen, dass es viele andere Realtäten gibt, die ich nicht ändern kann. Das war mein großer Lernprozess der letzten Jahre. Es ist wichtig, dass wir zusammenbleiben, obwohl mir viele Sachen nicht passen und den Frauen auch nicht. Veränderung dauert und braucht viele kleine Versuche. Wenn ich denke, dass Frauenrechte wichtig sind, die Frauen aber in Afghanistan sozialisiert wurden, wo das Patriarchat herrscht, dann ist das nicht leicht zu verändern. Aber wir merken, die Frauen sind neugierig. Sie fragen nach Liebe, sexueller Selbstbestimmung, nach lesbischem Leben und das sind Fragen, die jetzt nach einiger Zeit kommen.

Wir brauchen langfristige Konzepte und Finanzierungen.

Teresita: Auch in unseren Workshops zu Sexualität und Verhütung zeigt sich, dass die Frauen ein großes Interesse daran haben, ihre eigene Sexualität weiter zu entdecken und sich mehr mit sexueller Gesundheit auseinanderzusetzen.

Claudia: Ich finde es wichtig, den Frauen die Entwicklung einer eigenen Meinung zu ermöglichen. Das ist schwer, gerade wenn die Menschen aus autoritären Systemen kommen. Wenn Menschen nicht schreiben und lesen können, dann musst du einen Dialog finden, ohne dass ich sage, du musst Schreiben lernen. Diese Frauen brauchen eine Perspektive! Nur Geld vom Jobcenter zu bekommen, das ist keine Alternative. Ich kann ihnen aber auch über unser Projekt keine Arbeit geben. Es gibt insgesamt zu wenige Perspektiven für diese Frauen.

Was können Andere von euch lernen?

Teresita: Migrant*innen und geflüchtete Frauen, egal, ob sie unsere Mitarbeiter*innen oder Teilnehmenden sind, nehmen wir als Expert*innen wahr. Wir haben also kein Standardprogramm und sehen sie auch als Vermittler*innen mit Brückenfunktion und Multiplikator*innen für andere Frauen. Bei uns werden oft die ehemaligen Teilnehmer*innen zu Trainer*innen. Wir bewerben unsere Trainings eher durch Mundpropaganda als durch Social Media. Wir haben aber auch eine große WhatsApp-Gruppe und wir fragen immer wieder: Was sind eure Themen? Diese sind sehr verschieden und wir richten uns bestmöglich nach ihnen aus: Wohnungssuche, sexuelle Identität, etc.

Wir wollen Werkzeuge zum Empowern aufzeigen.

Wir wollen keinen Paternalismus mehr, Zusammenarbeit auf Augenhöhe und Transparenz über Privilegien ist unser Motto. Ich frage mich immer, was ist meine Position in diesem Raum und in dieser Gruppe jetzt? Das ist eine ständige Repositionierung. Ich finde das wichtig, weil hier in Berlin habe ich als Italienerin eine andere Erfahrung, eine andere Position als eine deutsche Person, aber auch gegenüber einer Frau, die geflüchtet ist. In Italien, wenn ich Menschen dort treffe, die Opfer von Menschenhandel sind, dann ist meine Position dort als Italienerin eine ganz andere. Ich habe einen Pass und ich erlebe in Italien kein Racial Profiling.

Gibt es Forderungen an Institutionen und Verwaltung?

Claudia: Wir brauchen langfristige Konzepte einschließlich der Finanzierung. Diese Menschen werden nicht zurückgehen. Es braucht Schulen, Begleitungen und Perspektiven.

Teresita: Jemanden zu empowern, das kannst du nicht. Es geht einfach darum, die Werkzeuge zu zeigen, damit sie sich selber empowern. Aber das ist kein Aspirin. Wir brauchen eine Qualifikation von Frauen und Menschen mit Fluchterfahrungen. Das heißt auch, sie können nicht immer ehrenamtlich arbeiten und müssen bezahlt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Roxane Josten und Berit Schröder.

Claudia Tribin ist die Koordinatorin des lateinamerikanischen Vereins Xochicuicatl e.V. im Prenzlauer Berg. Gemeinsam mit ihrer Community hat sie 2015 das Projekt „Ladies meet“ für und mit geflüchteten Frauen ins Leben gerufen. Etwa zeitgleich entwickelte Teresita Cannella mit dem Verein Trixiewiz e.V. einen Selbst-Empowerment-Ansatz und bietet seitdem Trainings in Pankower Gemeinschaftsunterkünften an. In diesem Interview sprechen wir mit den beiden Vereinsvertreter*innen über ihre Erfahrungen mit Empowerment in ihrer Projektarbeit.

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