Nachgefragt!
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#2

Prof. Dr. Esther Lehnert ist Erziehungswissenschaftlerin und setzte sich bereits in ihrer Promotion mit der Beteiligung von Sozialarbeiterinnen im Nationalsozialismus auseinander. Sie war in verschiedenen Präventions- und Interventionsprojekten (u.a. in der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin) beschäftigt. Seit 2015 hat sie eine Professur an der Alice Salomon Hochschule für Geschichte, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus. In der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung ist sie seit Beginn an als freie Mitarbeiterin tätig. Außerdem ist sie im Vorstand des Institut Solidarische Moderne.

Der Begriff des Völkischen schließt aus

Interview mit Prof. Dr. Esther Lehnert

In der letzten Zeit fällt wieder öfter das Wort „völkisch“, z. B. bei der Identitären Bewegung und bei der AfD. Wie würdest du das Wort „völkisch“ erklären?

Ich würde es immer historisch herleiten und sagen, dass „völkisch“ eng verbunden ist mit den völkischen Bewegungen Anfang des 19. Jahrhunderts. Das Völkische war von vornherein verknüpft mit Ausschlussprinzipien: Die völkische Idee ist verbunden mit einem nationalistischen, chauvinistischen Gebaren, bezieht sich immer nur auf bestimmte Menschen und versteht sich als Gegensatz zu einer offenen und demokratischen Gesellschaft. Wenn man weiß, woher das Wort kommt, kann man es nicht neutral betrachten. Aus den völkischen Bewegungen ist die Nationalsozialistische Partei Deutschlands hervorgegangen, das muss man einfach so deutlich festhalten.

Füllen rechtspopulistische Organisationen diesen Begriff heute anders als das, was du jetzt historisch als völkisch bezeichnet hast?

Ich würde sagen, es ist sehr ähnlich. Es gab ja in der AfD den Diskurs über die vier deutschen Großeltern. Der ist ganz klar orientiert an dem „Ariernachweis“, der im Nationalsozialismus eingeführt wurde. Menschen mussten nachweisen, dass sie „Arier“ waren: Der „Voll-Arier“ war derjenige, der vier deutsche Großeltern vorweisen konnte. D. h. auch aktuell wird völkisch wieder als ausgrenzend, die Mitgliedschaft zu dem Volk wird über das „deutsche“ Blut konstruiert. So soll eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft erschaffen werden, die es so in unserer Gesellschaft zum Glück gar nicht gibt.

Und das spiegelt sich wieder in Wahlplakaten wie „Neue Deutsche? Machen wir selber!“?

Genau. Man kann sagen, dass die AfD aktuell in vielen Punkten NPD-Positionen vertritt. Früher hat die NPD sehr genau unterschieden zwischen „Deutsch“ und „Pass-Deutsch“. Das war eine Verunglimpfung von vielen Menschen, die hier leben und einen deutschen Pass haben. Denen wurde gesagt, ihr zählt nicht, wenn ihr nicht deutschen Ursprungs, nicht deutschen Blutes seid und keine weiße Hautfarbe habt. Hinter dem erwähnten Wahlplakat steckt ein Volksbegriff, der ganz viele Bürgerinnen und Bürger unserer Gesellschaft ausschließt. Egal, ob sie hier geboren sind oder seit vielen Jahren hier leben.

Welches Ziel verfolgen rechtspopulistische, extrem rechte Organisationen, wenn sie völkische Politik wiederbeleben wollen?

Da drin steckt zum einen eine Ablehnung der Moderne bzw. der Folgen der Moderne: von Globalisierung, Umweltzerstörung, also komplexen Fragen, mit denen wir uns in der Gesellschaft auseinandersetzen müssen. Völkische Politik will den Menschen suggerieren, dass es ein einfacheres, erdverbundenes, naturverbundenes Leben gäbe, was im Gegensatz zu der modernen, zerstörerischen Stadt gesetzt wird: Land, Scholle, Heimat. Das Anti-Moderne war früher schon in völkischen Bewegungen dabei und ist es heutzutage auch. Die modernen Errungenschaften, angefangen von Multikulturalismus bis zu den Rechten von Schwulen und Lesben, von Frauen und so weiter - dies alles wird mit dem Wort völkisch herabgewürdigt und abgewatscht. Die Idee von einer völkischen Lebensweise ist wie die Verheißung des Paradieses. So was gibt es gar nicht, aber es ist eine Idee, die total zieht. Es gibt eine Reihe von Menschen, die wünschen sich ein Leben, das einfacher, das weniger kompliziert, weniger komplex ist. Diesen Wunsch greifen rechte Organisationen mit dem Begriff völkisch auf.

Bei Protesten gegen Geflüchtetenunterkünfte, bei BÄRgida- oder Pegida-Demonstrationen wird gerne gerufen „Wir sind das Volk“, was steckt da mit drin?

Es steckt alles Mögliche mit drin. In den Protesten gegen Geflüchtete geht es um eine besondere Komponente. Es ist der Rassismus, der über die völkische Konstruktion transportiert wird. D.h. die Abgrenzung erfolgt nach Außen oder gegen das, was als außerhalb des Volksverständnisses betrachtet wird. Das wird ausgegrenzt, wird runtergemacht, wird abgelehnt. Schwarze Deutsche sind zum Beispiel betroffen und sind ja eigentlich nicht Außen. D.h. in den Rufen „Wir sind das Volk“ ist ganz klar ein bestimmtes Verständnis von Wir und die Anderen enthalten.

Das Völkische war von vornherein verknüpft mit Ausschlussprinzipien.

Des Weiteren: Mit dem „Die da oben, wir hier unten“ wird ganz bewusst gespielt. Gegen das Establishment, gegen die da oben. Das ist ein Spiel, wenn man sich anschaut, wer diese Klaviatur bei den Rechtspopulisten bedient, also wer diese Diskurse mitbestimmt. Das sind Menschen, die ganz klar zu den Eliten unserer Gesellschaft, eher zu den Globalisierungsgewinnern zu zählen sind, die sehr von dieser kapitalistischen Lebensweise profitieren und auch von dem System.

Erfindet die AfD den Begriff des Völkischen neu oder erweitert sie ihn?

Es gab vorher schon Rassismus. Rassismus ist ganz klar Bestandteil des Begriffes des Völkischen. Es gab schon vorher Antifeminismus oder Sexismus. Und so wie Rassismus nach außen funktioniert, funktioniert dieser Volksbegriff nach innen über Sexismus. Er hat ja sehr, sehr klare Zuschreibungen über richtige Frauen- und Männerrollen. Der Rassismus nach außen und der Sexismus nach innen sind wahnsinnig anschlussfähig. Es gibt viele Menschen, die keinesfalls als AfD-Wähler*innen oder als Nazi zu bezeichnen sind, die diese Idee einer traditionellen völkischen Rollenaufteilung total in Ordnung finden.

Oft haben wir in unserer Arbeit die Diskussion, dass völkisch nicht extrem rechts sei. Was würdest du sagen?

Der Begriff des Völkischen schließt aus. Und hier ist die Frage, möchte ich Menschen aus meiner Gesellschaft, Menschen, die mich umgeben, meine Nachbarinnen und Nachbarn, meine Mitbürger*innen, also diejenigen, die unsere Gesellschaft ausmachen, möchte ich diese vielen Leute ausgrenzen? Der Volksbegriff ist immer ethnisch homogen konstruiert. Andere Volksbegriffe gibt es nicht. Es gibt keinen multikulturellen Volksbegriff. Es gibt nicht die Vorstellung, dass ein Volk auch unterschiedlich sein kann, sondern es ist immer verknüpft mit der ethnischen Zugehörigkeit. 25 % oder mehr der Kinder und Jugendlichen heute haben einen Migrationshintergrund. Die schließe ich damit z. B. alle aus. Und hier muss man sich fragen, will ich das? Darüber hinaus: Wenn sich Menschen entscheiden, traditionelle Rollen zu leben, dann ist das so. Zum einen kann ich sehr gut verstehen, wenn Männer sich dazu entscheiden, weil sie davon sehr große Vorteile und Privilegien haben. Natürlich können auch Frauen sich dazu entscheiden. Das Problem entsteht aber in dem Moment, wenn diese Rollen hegemonial und als Leitmotiv für andere verstanden werden, da wird es schwierig. Schließlich gibt es nicht nur das eine lebbare Modell. Wir haben uns zum Glück in den letzten Jahren andere Modelle und Bilder erkämpft. Es gibt Menschen, die gar nicht in das Bild weiblich-männlich passen. D. h. wir reden bei völkisch im Prinzip über eine Konstruktion, die sehr exklusiv und sehr klein ist. Die nicht die Realität abbildet. Deswegen glaube ich, es funktioniert wie eine Verheißung, es ist ein Paradies und das Paradies hat es ja auch noch nie gegeben.

Was ist für engagierte Leute aus der Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung mit dem Begriff völkisch, aber auch mit Rassismus und Rechtspopulismus wichtig?

Vor allem ist es wichtig, auf die Gruppen zu schauen, die davon betroffen sind. Die Anzahl der Übergriffe auf Kopftuchtragende Frauen, die Anzahl der sexistischen Übergriffe sind total in die Höhe gegangen, seitdem dieser braune Dreck wieder mehr verbreitet wird, seitdem er salonfähiger geworden ist. Es hat unmittelbare Auswirkungen. Die Frage, was jetzt wieder sagbar ist, sei es ob mit Trump oder wem auch immer, zeigt, dass einige Menschen sich davon total bestärkt fühlen und dann gewalttätig werden. Menschen, die das früher nur gedacht haben, die es jetzt ausagieren, die werden geschützt durch rassistische, sexistische Aussagen. Es ist nicht nur eine Meinung unter vielen, sondern es ist eine Meinung, die, wenn sie sich verbreitet, hochgradig gefährlich ist, für ganz viele andere Menschen.

Es ist das A und O, die Betroffenen- Perspektive zu stärken.

Ihr sprecht mit der Frage ein sehr komplexes Feld an. Nehmen wir das Beispiel Willkommens-Initiativen. Es wäre eine Aufgabe von Projekten wie euch denen eine Stimme zu geben. Die Engagierten sind sehr beschäftigt in der Unterstützungsarbeit. Nach wie vor sind ca. sechs Millionen Menschen in dieser Unterstützungsarbeit. Sie machen das ehrenamtlich. Das heißt, sich jetzt noch Gehör zu verschaffen, ist eine ganz schöne Herausforderung. Welche anderen Organisationen können diese Arbeit noch mal sichtbarer machen und auch zeigen, dass es so was wie ein lebendiges Gemeinwesen gibt? Wenn Leute, die in der direkten Arbeit mit Geflüchteten sind, öfters gehört werden könnten und berichten, wie differenziert die Lebensschicksale von Geflüchteten sind, dann wäre schon sehr viel gewonnen. Im Prinzip geht es darum, Menschen zu fragen. Es ist das A und O, die Betroffenen-Perspektive zu stärken. Also Leute in Sprecher*innenpositionen zu bringen: Migrant*innen, queere Menschen, Engagierte aus den Initiativen. Es wird vielmehr darüber gesprochen, was sind die möglichen Ängste und Motive von Menschen, die gegen Geflüchtete hetzen? Der Diskurs, durch den andere Positionen zum Ausdruck gebracht werden, ist viel geringer. Warum arbeiten Sie für / mit Geflüchteten, was machen Sie – erzählen Sie mal! Leider wird immer eher gefragt, warum haben Sie Angst vor …


Aktuelle Veröffentlichungen
2017 Lehnert, Esther: Die Relevanz der Geschlechterrollen im modernen Rechtsextremismus. Gender matters!?, in: Kopke, Christoph/ Kühnel, Wolfgang (Hg.): Demokratie, Freiheit, Sicherheit. Berlin, S. 195-214

2016 Lehnert, Esther/ Radvan, Heike: Rechtsextreme Frauen – Analysen und Handlungsempfehlungen für Soziale Arbeit und Pädagogik, Berlin, Toronto

Lehnert, Esther / Büttner, Frauke / Lang, Juliane: Frauen im Rechtsextremismus. Ein immer noch unterschätztes Phänomen, in: Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern e.V. (Hg.): Rechts Oben II, Neubrandenburg, S. 42-50

Lehnert, Esther/ Glaser, Enrico: Verstellter Blick. Eine Absage an „Deradikalisierung“ im Zusammenhang mit Jugend- und Präventionsarbeit, in: Burschel, Friedrich (Hg.): Durchmarsch von rechts. Völkischer Aufbruch: Rassismus, Rechtspopulismus, Rechter Terror, Berlin, S. 125-130

Das Interview führten Annika Eckel und Andreas Ziehl.

Prof. Dr. Esther Lehnert ist Erziehungswissenschaftlerin und setzte sich bereits in ihrer Promotion mit der Beteiligung von Sozialarbeiterinnen im Nationalsozialismus auseinander. Sie war in verschiedenen Präventions- und Interventionsprojekten (u.a. in der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin) beschäftigt. Seit 2015 hat sie eine Professur an der Alice Salomon Hochschule für Geschichte, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus. In der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung ist sie seit Beginn an als freie Mitarbeiterin tätig. Außerdem ist sie im Vorstand des Institut Solidarische Moderne.

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