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#3

Malene Gürgen, Jahrgang 1990, ist seit 2014 Redakteurin bei der taz und dort im Berlin-Ressort verantwortlich für die Themen AfD, Rechtsextremismus sowie außerparlamentarische Politik. Sie kommt aus Berlin und hat an der Freien Universität Politikwissenschaften studiert.

Demo­kratisch und neutral ist nicht dasselbe

Ein Interview mit Malene Gürgen zu rechtspopulistischen Medien- und Kommunikations­strategien

Aktuell wird viel über Meinungsfreiheit debattiert. Rechtspopulist*innen behaupten häufig, die Meinungsfreiheit sei eingeschränkt und unbequeme Wahrheiten könnten nicht mehr ausgesprochen werden. Wie schätzt du das als Journalistin ein?

Ja, das ist eine Diskussion, die wir in der letzten Zeit verstärkt haben. Viele Leute springen auf diese Debatte an, weil die Meinungsfreiheit ein so wichtiges demokratisches Recht ist. Wenn man sich aber anschaut, wann Rechtspopulist*innen Meinungsfreiheit verteidigen, dann merkt man, dass sie das eigentlich nur dann tun, wenn es die Freiheit ihrer Meinung betrifft. Sie benutzen dieses Argument - alle müssen doch reden können, alle müssen gehört werden können - strategisch, weil sie wissen, dass das gesellschaftlich sehr anschlussfähig ist. Was sie damit aber eigentlich meinen, ist, dass ihre eigene Meinung widerspruchlos gehört werden soll. Sie benutzen es auch, wenn es eigentlich keine Einschränkung der Meinungsfreiheit gibt. Zum Beispiel in der Debatte um den Schriftsteller Uwe Tellkamp – eine Person, die viel beachtete Bücher geschrieben, viele Zeitungsinterviews gegeben hat und häufig in Talkshows im Fernsehen sitzt. Auch hier sagen Rechte, dass seine Meinung zensiert werden würde. Da ist ja eigentlich offensichtlich, dass das so nicht stimmt. Und dass wir es in dem Fall nicht mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit zu tun haben, sondern dass es dem Schriftsteller eher darum geht, dass er es nicht aushalten kann, dass ihm Menschen widersprechen und ihm nicht in jedem Fall recht geben. Allein diese Tatsache, dass Menschen Widerspruch äußern, wird als eine Einschränkung von Meinungsfreiheit verkauft.

Du hast gesagt, der Begriff der Meinungsfreiheit wird strategisch genutzt. Wie würdest du rechte und rechtspopulistische Kommunikationsstrategien beschreiben?

Rechtspopulist*innen haben oft einen sehr strategischen Umgang mit Kommunikation. Es gibt bestimmte Merkmale, auf die man immer wieder trifft. Dazu gehört erst mal, dass Komplexität reduziert wird, dass Phänomene oder Probleme stark vereinfacht werden, sodass es zu der eigenen politischen Aussage passt. Für Zwischentöne oder Grauzonen ist gar kein Platz, es werden vielmehr Schwarz-Weiß-Bilder gezeichnet. Zum Beispiel bei der Asylthematik, die ja recht komplex ist, wird häufig stark vereinfacht. Die Unterscheidung zwischen Migrant*innen, Asylbewerber*innen, abgelehnten Asylbewerber*innen, da haben wir es ja mit einem jeweils ganz unterschiedlichen rechtlichen Status zu tun, machen die AfD und andere Rechtspopulist*innen fast nie. Sie werfen vielmehr alles in einen Topf und dann kommen Aussagen heraus, die pauschalisierend sind. Es wird immer wieder mit Fakten so umgegangen, wie es für die jeweilige Aussage passend ist. Es werden bewusst Falschbehauptungen verbreitet. Es wird beispielsweise mit ganz vielen Zahlen um sich geschmissen, sodass es erst mal den Eindruck vermittelt: Da ist jemand gut informiert, das muss alles stimmen. Und wenn man das dann nachprüft, dann merkt man, da stimmt ganz vieles gar nicht. Es ist nur eine Strategie, die vermittelt, das Ganze wäre faktenbasiert.

Dass Menschen Widerspruch äußern, wird als eine Einschränkung von Meinungsfreiheit verkauft.

Ein weiteres wichtiges Merkmal, gerade wenn Rechtspopulist*innen vor ihren Anhänger*innen oder potenziellen Wähler*innen sprechen, also vor Menschen, die sie überzeugen wollen, ist, dass sie mit Angst arbeiten. Ängste werden stark geschürt und dann als Angebot, um aus dieser Angst herauszukommen, das eigene politische Programm benannt. Da wird den Leuten zwei Stunden lang erzählt, wie schrecklich die Situation ist, dass Deutsche in diesem Land nichts mehr zu melden hätten, dass ihnen alles weggenommen würde, dass sie sich nicht sicher sein könnten, ob sie morgen noch ihre Wohnung haben. Diese Ängste, die es schon gibt, werden weiter geschürt und gestärkt und dann wird gesagt: Das Einzige, was da hilft, ist ein nationalistisches, rassistisches Programm.

Zentral ist auch das Einsetzen von Tabubrüchen als Bestandteil rechtspopulistischer Kommunikationsstrategien. Dabei wird bewusst eine öffentliche Aussage getroffen, von der man weiß, dass sie für einen Skandal sorgen wird, um dafür eine erhöhte (Medien-)Aufmerksamkeit zu bekommen. Oft ist es dann so, dass hinterher, wenn der Skandal da war, halb zurückgerudert wird. Meist wird die Aussage nicht ganz zurückgenommen, sondern nur ein wenig relativiert. Zum Beispiel sagt AfD-Politiker A. etwas und AfD-Politiker B sagt dann: „Na ja, ganz so würden wir das nicht sagen, aber ...“. Damit wird die Aussage nicht zurückgenommen und das Ziel ist erreicht: Man war in den Medien und alle haben darüber gesprochen. Das ist vor allem für den Umgang von Medienseite aus eine große Herausforderung: Einerseits möchte man darüber berichten, wenn etwas gesagt wird, das zum Beispiel menschenverachtend oder rassistisch ist. Andererseits muss man immer aufpassen, dass man sich nicht gemeinmacht mit der Öffentlichkeitsstrategie von Rechtspopulist*innen und ihnen auf den Leim geht.

Warum sind ihre Kommunikationsstrategien so erfolgreich und ihre Präsenz in der Öffentlichkeit so groß?

Ein Teil der Erklärung ist, dass Rechtspopulist*innen wissen, wie sie anschlussfähige Begriffe nutzen können. Zum Beispiel der Bezug auf Meinungsfreiheit oder Begriffe wie Toleranz und Demokratie. Die nutzen sie für sich, weil sie eben wissen, dass gegen Toleranz oder Meinungsfreiheit niemand was sagen kann. Sie wissen, dass es geschickt ist, sich darauf zu beziehen und zum Beispiel zu sagen: Wenn ihr mich nicht aufs Podium setzt, wenn ich jetzt hier nicht sprechen darf, dann seid ihr nicht tolerant und nicht demokratisch. Ihr schränkt die Meinungsfreiheit damit ein. Das ist ein Hebel, den sie benutzen, um Menschen zu verunsichern, um die anderen unter Rechtfertigungsdruck zu setzen und selber das Opfer zu sein.

Ähnlich ist das beim Tabubruch: Wenn man einen gesellschaftlichen Konsens gezielt bricht und gewisse Linien überschreitet, kann man sich der Aufmerksamkeit sicher sein. Es ist ambivalent: Die Wahrnehmung, dass mit einer bestimmten Aussage gerade ein gesellschaftlicher Konsens gebrochen wird, ist ja erst mal wichtig und gut. Und gleichzeitig profitieren Rechtspopulist*innen eben von dieser Skandalisierung, wenn man sich als Reaktion nur empört und selbst nicht vermittelt, wofür man steht, was die eigene Position ist. Es reicht nicht zu sagen: „Es ist schlimm, was die AfD gesagt hat.“ Und dann diese Aussagen noch weiter zu verbreiten und ihnen noch mehr Aufmerksamkeit zu geben. Vielmehr ist es wichtig, inhaltlich zu begründen, warum bestimmte Aussagen problematisch sind, damit man ihren Argumenten nicht das Feld überlässt.

Die Art, wie die Rechtspopulist*innen repräsentiert werden, ist absolut überproportional zu der Bedeutung, die sie tatsächlich haben.

Ein Thema, das immer noch unterbeleuchtet ist, ist die Relevanz von sozialen Medien und Internet. Das ist auch etwas, was Journalist*innen häufig noch nicht genug auf dem Schirm haben, wie wichtig diese Öffentlichkeitsräume jenseits der etablierten Presse sind. Die sozialen Medien sind ein Hauptbetätigungsfeld für Rechtspopulist*innen und es gibt dort einen großen Resonanzraum für sie. Das sollte man auch als lokaler Akteur auf dem Schirm haben, dass es eine Form von lokaler Öffentlichkeit jenseits der Straße gibt, z. B. im Fall von informellen Facebook-Gruppen zu den einzelnen Bezirken oder Stadtteilen. Manchmal stellt das fast den wichtigeren Ort für öffentlichen Austausch dar, vor allem in Stadtteilen in denen es auf der Straße, im Realen, wenige öffentliche Orte zum Austausch gibt. Das heißt, auch in den sozialen Medien muss man präsent sein, sonst überlässt man das den Rechten. Es ist wichtig, die nicht sich selbst zu überlassen, sondern sich einzumischen. Facebook-Gruppen oder Chats werden nicht selten gezielt unterwandert. Leute treten dann nicht als Parteileute auf, sondern als normale Anwohner*in, als besorgte Mutter von nebenan, die sich mit anderen besorgten Müttern treffen möchte. Da muss man einerseits mit Leuten zusammenarbeiten, die erkennen können, ob da gerade eine gezielte Unterwanderung stattfindet und andererseits ist es wichtig, eigene Gegenangebote schaffen.

Was wären aus deiner Sicht ein guter Umgang, eine gute Reaktion - zum einen aus einer Medienperspektive, aber auch aus zivilgesellschaftlicher Sicht?

Wenn sich beispielsweise die AfD auf Begriffe wie Demokratie und Toleranz bezieht, kommt man nicht umhin, sich mit den Begriffen auseinanderzusetzen. Man muss versuchen, die selbst mit Inhalt und mit Leben zu füllen. Es sind umkämpfte Begriffe und man muss erklären können, was bedeutet z. B. Demokratie für mich? Als leere Phrase können sich alle darauf beziehen und es bleibt sehr unklar, was damit eigentlich ausgesagt werden soll. Es braucht eine Auseinandersetzung: Was ist eigentlich Demokratie? Wie definieren wir das? Und warum ist der Bezug, den Rechtspopulist*innen herstellen, problematisch? So bedeutet Meinungsfreiheit eben nicht, dass jedem immer überall recht gegeben werden muss. Wenn sich Rechte auf den Begriff beziehen, aber eigentlich damit meinen, dass nur ihnen recht gegeben werden bzw. ihnen zugestimmt werden soll, dann muss man an der Stelle ganz klar sagen: Nein, das ist nicht unser Verständnis von Meinungsfreiheit.

Schwierig wird es, wenn es den Anspruch gibt, den Begriff demokratisch mit neutral gegenüber politischen Akteuren gleichzusetzen – alle Parteien müssen gleichbehandelt werden. Denn der Neutralitätsanspruch stellt ein Dilemma dar, das nicht so einfach zu lösen ist. Ich glaube aber, dass es immer einen Kampf darum gibt, was gilt als neutral, was gilt als normal, als demokratisch und was nicht. Die AfD versucht gerade, das immer weiter zu verschieben. Also dass Dinge normal werden, die vorher nicht normal waren. Normalität ist etwas, das nicht für alle Zeiten festgeschrieben ist, sondern worüber man streiten muss. Nehmen wir den Fall, die AfD möchte an einem Fest für Demokratie und Toleranz teilnehmen und sagt: Demokratie, das heißt doch, dass alle mitmachen dürfen, da müssen wir doch auch dabei sein. Dann könnte man sagen: Gut, ich darf mich jetzt politisch nicht positionieren, ich muss hier neutral sein und allen die Teilnahme gewähren. Aber ich glaube, eigentlich müsste man klar sagen: Nein, die Positionen, die die AfD vertritt, sind so antidemokratisch, dass das unvereinbar ist mit dem Demokratiebegriff, den ich habe bzw. den wir als Organisator*innen gemeinsam für uns festgelegt haben. Ich begründe, was an den Positionen das Antidemokratische ist. Dadurch steht Demokratie nicht als neutrale Worthülse im Raum, sondern wird mit Inhalt gefüllt. Das Programm der AfD steht dem Inhalt so entgegen, dass ich mit guten Gewissen sagen kann: Die können nicht Teil der Veranstaltung sein. Es sind in jedem Fall schwierige Aushandlungsprozesse und das stellt eine Herausforderung für viele dar.

Welche Empfehlung hast Du an uns als Fach- und Netzwerkstellen?

Eigene Themen setzen ist sehr wichtig, das kann man auch aus Mediensicht so sagen. Die Art, wie die Rechtspopulist*innen repräsentiert werden, wie viel über sie gesprochen wird, in wie vielen Talkshows sie sitzen, wie sie Diskussionen in den Berliner Bezirken bestimmen, das ist absolut überproportional zu der Bedeutung, die sie tatsächlich haben. Bzw. zu dem Prozentsatz, zu dem sie gewählt wurden. Es gibt einen Überhang quasi, es wird sich viel stärker mit der AfD beschäftigt als mit jeder anderen Partei. Es wird geschaut: Was sagen sie, was machen sie? Und das ist einerseits verständlich, weil man sich damit beschäftigen muss, wenn man dem auch was entgegensetzen will. Aber es ist eben auch wichtig, dass man nicht aus den Augen verliert, dass es einen großen Teil der Gesellschaft gibt, der eben nicht die AfD gewählt hat und sich nicht von ihr vertreten fühlt. Auf lokaler Ebene gibt es viele Initiativen, die für einen anderen, einen solidarischen und vielfältigen Kiez stehen. Es ist wichtig, dass diese Initiativen sichtbar sind und gestärkt werden, weil sie ein anderes Bild repräsentieren. Deswegen ist es gut, ein breites Verständnis davon zu haben, was Aktivitäten und Initiativen sind, die sich gegen rechts engagieren: Also nicht nur die, die das explizit machen, sondern auch alle Gruppen, wie zum Beispiel migrantische Selbstorganisationen oder auch eine feministische Theatergruppe. Sie stehen für eine andere Gesellschaft und die sichtbar zu machen und zu stärken, ist essenziell.

Das Interview führte Claudia Pilarski.

Malene Gürgen, Jahrgang 1990, ist seit 2014 Redakteurin bei der taz und dort im Berlin-Ressort verantwortlich für die Themen AfD, Rechtsextremismus sowie außerparlamentarische Politik. Sie kommt aus Berlin und hat an der Freien Universität Politikwissenschaften studiert.

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