Berliner Wahlkampf: Spielwiese für rechte Hetze
Interview mit Patricia, Frank Metzger (apabiz e.V.) und Mathias Wörsching (MBR Berlin)
Am 26. September finden in Berlin Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt, auch in den Bezirken wird neu gewählt. Wenn wir auf rechte Hetze im Wahlkampf schauen, welche Themen werden da neu gesetzt?
Patricia: Die AfD als wichtigster parlamentarischer Akteur der extremen Rechten startet mit oberflächlich gemäßigteren Formulierungen in den Wahlkampf. Wir schauen aber vor allem auf die Äußerungen und Handlungen von Parteivertreter*innen und Amtsinhaber*innen. Da geht es nach wie vor um den Kampf gegen eine inklusive, offene Gesellschaft und den Ausschluss bestimmter Gruppen. Die Berliner AfD will LGBTIQ*-Themen im Unterricht tabuisieren und die Förderung inklusiver Schulformen stoppen. Außerdem hat sie ein exklusives rassistisches Verständnis von Staatsbürgerschaft. Wer nicht zur Gruppe der sogenannten "Einheimischen" zählt, ist für die AfD Staatsbürger*in auf Zeit und soll ausgebürgert werden können.
Im Abgeordnetenhaus und in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) versucht die AfD seit 2016 über Anfragen zur Nationalität bestimmter Personengruppen, wie beispielsweise Empfänger*innen von Wohnberechtigungsscheinen, die Bedingungen für derartige Ausgrenzungen zu schaffen. Außerdem verharmlost sie das von extrem rechten Akteur*innen ausgehende Gewaltpotenzial und versucht, die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu behindern oder ihnen die Mittel zu entziehen. Zusammenfassend würde ich sagen, dass die AfD heute über mehr parlamentarische Erfahrung und das entsprechende Personal verfügt, inhaltlich aber wenig neue Akzente setzt. Das zeigt sich bei ihrer Reaktion auf die Pandemieleugner*innen: Teile der Berliner AfD haben versucht, die Proteste einzunehmen, das ist ihnen aber nicht so gelungen wie bei Pegida.
Die Berliner AfD will LGBTIQ*-Themen im Unterricht tabuisieren und die Förderung inklusiver Schulformen stoppen.
Mathias: Bemerkenswert ist, dass das Thema Corona-Proteste und Agitation gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie im Berliner Wahlkampfprogramm der rechtspopulistischen, teilweise rechtsextremen AfD gar nicht auftaucht. Im Bundestagswahlprogramm taucht es schon auf. Wenn man nach neuen Akzenten der AfD sucht, dann ist das Bundestagswahlprogramm interessanter. Die AfD ist die einzige unter den Rechtsaußen-Parteien, die in der Lage sein wird, im Wahlkampf wirklich Akzente in der gesellschaftlichen Debatte zu setzen und diese zu beeinflussen. Die aggressivsten und radikalsten Thesen werden von der AfD im Bereich Klimaschutz vertreten, der komplett abgelehnt wird. Die AfD positioniert sich für Kernkraft, für Gentechnik, für die Förderung von Verbrennungsmotoren. Die Forderung nach einem Ausstieg aus der EU ist neu. Auch die kulturnationalistischen, rassistischen, integrations- und flüchtlingsfeindlichen Aussagen sind im Bundestagswahlprogramm schärfer formuliert.
Es tritt weiterhin hartnäckig auch die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) an. Inwiefern ist die Partei in Berlin noch bedeutungsvoll?
Frank: Die neonazistische NPD spielt momentan eine untergeordnete Rolle. Sie ist in Berlin und auch bundesweit nicht gut aufgestellt und war auch hier in der Stadt nicht besonders aktiv in den letzten zwei Jahren. Das lässt sich unter anderem mit dem Weggang der Person Sebastian Schmidtke, dem ehemaligen Landesvorsitzenden der NPD Berlin, erklären. Bezogen auf die Berlin-Wahl am 26. September wird die NPD keine großen Punkte machen, sie wird mit keiner Person mehr im Abgeordnetenhaus vertreten sein. Und wir rechnen auch nicht damit, dass die Partei in einer BVV sitzen wird. Aber natürlich befassen wir uns weiterhin mit der Partei, vor allem auch was die außerparlamentarischen Aktivitäten sowie Bedrohungen auf anderen Ebenen betrifft: Etliche ihrer Aktivist*innen sehen Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Politik.
In Berlin gibt es noch eine weitere neonazistische Kleinstpartei - Der Dritte Weg, die aktuell sehr viel mehr Aktivitäten mit Infoständen und dem Verteilen von Flyern zeigt. Ziel ist hierbei allerdings weniger der Einzug in Parlamente. Sie ist stark am historischen NS orientiert. Der Parteienstatus dient vielmehr als eine Art Schutzrahmen vor staatlicher Repression.
Bezogen auf die Berlin-Wahl am 26. September wird die NPD keine großen Punkte machen.
Mathias: Für die NPD ist dieser Wahlkampf höchstens noch eine Gelegenheit, der eigenen Mitglieder- und Anhängerschaft zu zeigen, dass es die NPD noch gibt. Der Dritte Weg verfolgt hingegen eine andere Strategie, eine Langzeitstrategie. Die Partei will überzeugte, ideologisch gefestigte Kräfte um sich sammeln und eine neonazistische Basis aufbauen, von der aus sie dann weiter langfristig die Gesellschaft im Sinne ihrer Ideologie verändern will. Sie nutzt den Wahlkampf für ausgeprägte Straßenaktivitäten zur Festigung der eigenen Klientel und zur Gewinnung neuer Anhänger*innen in ihrem ideologischen Spektrum.
Wenn wir auf Berlin schauen, wo sind denn dann die Zentren des Drittens Wegs?
Frank: Lichtenberg ist ein Zentrum für den Dritten Weg. Da tauchten in den vergangenen Jahren bereits viele Flyer und Sticker auf. Diese Reviermarkierungen finden jetzt aktuell in vielen Stadtteilen wie Lichtenberg, Marzahn, Hohenschönhausen, aber auch in Treptow-Köpenick und Pankow statt. In den letzten Monaten zeigten sich zudem vermehrt Aktivitäten vor allem in Neukölln, z. B. im Bereich der Sonnenallee oder in Rixdorf. Das sind gezielte Provokationen, die Angst verbreiten und signalisieren sollen: „Wir trauen uns hier in den Kiez, wo ihr uns nicht so gerne hättet.“
Als neuer Akteur ist die dem Querdenken-Spektrum zugeordnete Partei Die Basis in Berlin aktiv geworden. Wie schätzt ihr diese Formation ein?
Frank: Eine wirklich fundierte Einschätzung fällt uns schwer, die Partei ist jung. Sie ist dem verschwörungsideologischen Milieu zuzurechnen. Es ist eine klar themenspezifische Partei, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie anzugreifen. Sie propagiert einen individuellen und geradezu egozentrischen Freiheitsbegriff, der bezogen auf die Pandemie gefährlich ist. Die Partei spielt außerhalb von diesem Querdenken- und verschwörungsideologischen Milieu keine Rolle. Sie ist sehr dynamisch und in kurzer Zeit auf mehrere Hundert Mitglieder angewachsen, sie bietet eine Plattform für parteipolitisch unerfahrene Personen. Bei den verschwörungsideologischen Versammlungen Anfang August war Die Basis explizit auch an den Aufrufen und der Organisation beteiligt. Es ist nicht davon auszugehen, dass Die Basis ins Abgeordnetenhaus einziehen wird. Meiner Einschätzung nach wird sie auch in den Bezirken keine große Rolle spielen.
Patricia: Die Basis greift die Verschwörungsfantasien von Pandemieleugner*innen auf. Auf ihrer Website behaupten sie zum Beispiel, die epidemische Notlage sei nur für den Profit von Pharmagiganten und die Beeinflussung des Wahlgeschehens verlängert worden. Solche Erklärungsangebote sind antisemitisch codiert und entsprechend gefährlich.
Die Basis arbeitet ganz erheblich an einer Resonanzraumerweiterung für antidemokratische und menschenverachtende Einstellungen.
Mathias: Für Die Basis gilt das gleiche wie für die Corona-Proteste und für Querdenken u. a.: Sie ist Türöffner für antisemitische, rechtsextreme, verschwörungsideologische sowie nationalistische Inhalte. Sie fungiert als Türöffner in Bereiche, die sich vorher als bürgerlich, als linksalternativ oder esoterisch verstanden haben. Das sieht man an Kooperationsbeziehungen mit entsprechend verorteten Personen oder an ihrer Präsenz auf Versammlungen. Das sieht man auch bei den offen antisemitischen Aussagen der Spitzenfigur von Die Basis, Sucharit Bhakdi. Die Basis arbeitet ganz erheblich an einer Resonanzraumerweiterung für antidemokratische und menschenverachtende Einstellungen mit und trägt insbesondere verschwörungsideologische und antisemitische Einstellungen weit in die Mitte der Gesellschaft hinein.
Es gab immer wieder auch Debatten um extrem rechte Akteur*innen und/oder Verbindungen aus der extremen Rechten zu Vertreter*innen der AfD. Die AfD hat einen neuen Landesvorstand. In den Medien wird hier eine Nähe zum offiziell aufgelösten Flügel-Spektrum beschrieben. Was ist eure Einschätzungen?
Frank: Das würden wir so teilen. Es hat in Berlin mit der Wahl des neuen Vorstands vor einigen Monaten eine weitere Radikalisierung des Landesverbands gegeben. Damit erfolgte eine stärkere Einbindung eben solcher Personen, die dem mittlerweile offiziell aufgelösten Flügel zuzuordnen waren oder sich offen dazu bekannt haben. Damit ist im Vergleich zu der vormals unter dem Vorsitz von Georg Pazderski verfolgten Linie eine Radikalisierung zu verzeichnen, die nicht nur personell, sondern auch inhaltlich ihre Spuren hinterlassen wird. Besonders ein Bezirksverband fällt auf: Marzahn-Hellersdorf. Das ist ein Bezirk mit hohem Einfluss dieser radikaleren Kräfte, die dem mittlerweile aufgelösten Flügel zugeordnet werden können. Außerdem ist es der Bezirk, in dem die AfD bei der letzten Wahl ihr bestes Ergebnis eingefahren hat und erwartbar wieder sehr hohen Wähler*innenzuspruch bekommen wird. Als weitere Bezirke mit starkem Einfluss von Personen aus dem ehemaligen Flügel-Spektrum sind die Bezirksverbände Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf zu nennen. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass da, wo die AfD bei den letzten Wahlen stark war, sie auch wieder stark sein wird.
Mathias: Ich erwarte ähnliche Ergebnisse wie bei den letzten Wahlen, schwache Ergebnisse für die AfD in den Innenstadtbezirken und mittelgute Ergebnisse am westlichen Stadtrand, dann hohe Ergebnisse in bestimmten Teilen von Pankow, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg. Berlin ist noch eine geteilte Stadt, geteilt in Ost und West und in Innenstadtbezirke und Außenbezirke.
Patricia: Die Junge Alternative Berlin ist in dem Zusammenhang auch wichtig: Die haben gerade eine eigene Plakatkampagne mit Slogans wie „Ist es okay, minimal-pigmentiert zu sein?“ gestartet und haben Verbindungen zur Identitären Bewegung (IB) und zum burschenschaftlichen Milieu.
Welche Themen müssen soziale Bewegungen und emanzipatorische Kräfte in Berlin gerade noch stärker in den Blick nehmen, um eine klare Abgrenzung zu den Aktivist*innen aus beispielsweise einer Partei wie Die Basis zu haben?
Mathias: Grundsätzlich hat die demokratische Zivilgesellschaft noch keine Antwort gefunden. Die Proteste gegen die Verschwörungsgläubigen sind noch schwach. Insbesondere gegen eine Massenmobilisierung wie im letzten Sommer konnte wenig ausgerichtet werden. Das hat sicher auch mit der Schwierigkeit zu tun, in Zeiten der Pandemie auf die Straße zu gehen. Aber es hat auch damit zu tun, dass sich die Corona-Proteste nicht in die üblichen Schemata einpassen lassen wie bei traditionellen Rechtsextremist*innen.
Insgesamt ist damit zu rechnen, dass da, wo die AfD bei den letzten Wahlen stark war, sie auch wieder stark sein wird.
Frank: Darüber hinaus sind diese verschwörungsideologischen Versammlungen oft sehr dynamisch, unübersichtlich und in Teilen aggressiv. Mit diesen neuen Herausforderungen stellt sich zudem eine gewisse Überforderung und Müdigkeit ein, immer wieder in schneller Folge Gegenproteste organisieren zu müssen. Außerdem spielt der Schutz der eigenen Gesundheit eine Rolle, der viele Menschen hemmt. Sie meiden große Menschenmengen und vor allem die Nähe der verschwörungsideologischen Versammlungen, da hier bewusst und gezielt die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie missachtet werden.
Wir als Fach- und Netzwerkstellen werden immer wieder bei der Organisation von Podien mit Parteivertreter*innen gefragt: Müssen alle Parteien eingeladen werden?
Mathias: Wir versuchen mit den Beratungsnehmenden den eigenen Handlungsrahmen in den Blick zu nehmen. Insbesondere freie Träger und zivilgesellschaftliche Initiativen sind überhaupt nicht verpflichtet, alle Parteien gleichermaßen einzuladen. Es stellt sich die Frage: Was will ich erreichen mit der Veranstaltung? Was sind meine eigenen Werte und lässt sich das mit einer nationalistischen, rassistischen, antifeministischen Partei wie der AfD eigentlich überein bringen? Haben rechtsextreme und rechtspopulistische Politiker*innen überhaupt etwas zu dem Thema zu sagen, das ich bearbeiten will?
Wenn entschieden wurde rechtsextreme und rechtspopulistische Politiker*innen einzuladen, dann geht es vor allem um die sorgfältige Vorbereitung der Veranstaltung mit allen Beteiligten, mit der Moderation, dem Aufstellen von Gesprächsregeln: Wie können menschenverachtende Äußerungen verhindert werden? Wie setzen die Veranstaltenden klare Grenzen?
Eine Partei wie die AfD kann in demokratischen Wahlen legitimiert worden sein, doch das macht sie noch nicht zu einer demokratischen Partei, denn auch die Menschenrechte gehören zum Kern der Demokratie. Zur Demokratie gehören nicht nur Austausch und Meinungsstreit auf Podien, sondern auch Protest. Keine Partei mit einer rechtsextremen oder rechtspopulistischen Agenda hat einen Anspruch darauf, von Kritik oder von Protesten verschont zu bleiben.
Das Interview führten Berit Schröder und Andreas Ziehl.